Schlagwortarchiv für: Berlin

Mandat Wachstums Wochenstart Nr. 664: Systeme und das Urteilsvermögen

Als meine Frau und ich uns Anfang der 1990er Jahre kennenlernten, lebte sie in Berlin und ich in Dortmund. Ich erinnere mich noch sehr gut an unser erstes Treffen in Berlin 1991. Es gab keine Navigationssysteme, die Verkehrsinfrastruktur nach Berlin war noch auf DDR-Niveau. Karten, Stadtpläne, das waren die Hilfsmittel. Natürlich verfuhr ich mich. Statt im Südwesten von Berlin landete ich im Südosten. Irgendwie habe ich mich dann durchgeboxt.

Als ich danach öfter in Berlin war, überraschten mich die enorm vielen Lehrgangsanbieter für den Taxischein. In Berlin war es offenbar eine lohnende Studentenbeschäftigung, Taxi zu fahren und man musste umfassende Kenntnisse der Straßen und Adressen nachweisen – siehe oben: Es gab keine Navis. Viele Taxifahrer beeindruckten mich durch enorme Ortskenntnis, nicht nur in Berlin.

Heute ist alles einfacher. Die Adresse wird ins Navi eingegeben, los geht’s. So auch vor einigen Tagen in München. „Hansastraße 10“ sagte ich dem Taxifahrer, ich wollte zu einem Boardmeeting bei Flowers-Software, unserem Startup. Auf der Hansastraße sah ich, dass die Hausnummern hochzählten: 120, 122, 124, … Ich wies den Taxifahrer darauf hin. Er: „Ja, ja“ und fuhr weiter. Circa bei Hausnummer 139 fuhr er auf den Hof eines Wohngebiets: „Wir sind da.“

Ich: „Nein, schauen Sie, am Haus steht 139.“

„Das Navi sagt, wir sind da.“

„Dies ist nicht Nummer 10.“

„Das Navi sagt, hier ist Nummer 10. Was soll ich machen? Ich bin nicht das Navi.“

„Und ich kein Taxifahrer. Fahren Sie zu Nummer 10.“

Der Taxifahrer wurde richtig wütend, was mir missfiel, aber ich konnte es nicht ändern. Er raste zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren, mit hoher Geschwindigkeit, er sprach laut mit mir, dass das nicht seine Schuld sei, fragte was er machen solle, ich entgegnete, dass mir egal sei, wer Schuld und wer Recht habe, ich wolle nur in die Hansastraße 10. Irgendwann standen wir an der Hansastraße Nummer 10. Ich: „Geht doch.“ Gut, das trug nicht zur Verbesserung der Stimmung bei, aber wir waren da. Das „Warum nicht gleich so?“ habe ich mir gespart.

Fakt: Tatsächlich ist es so, dass google maps Hansastraße 10 falsch verortet. Andreas, der Flowers-CEO, sagt, es sei eine Garage mit der Nummer 10 damit verbunden und google wolle das nicht ändern. Probieren Sie es aus.

Was lernen wir?

  1. Wir dürfen uns nicht auf Systeme allein verlassen. Auch heute noch machen Systeme Fehler.
  2. Das Urteilsvermögen ist heute vielleicht wichtiger denn je: “Trust your judgment“ wird immer, immer wichtiger. Wenn ich eine Straße entlangfahre und die Hausnummern zählen von 120 aufwärts, dann werden wir der richtigen „10“ auf diese Weise nicht begegnen. Nie!
  3. Die Frage nach Schuld und Recht mag vor Gericht wichtig sein, im Taxi ist sie es nicht, sondern sie ist müßig. Im Beruf ist sie auch nicht relevant. Privat auch nicht.
  4. Unser Umgang mit der Situation entscheidet über unser Gemüt. Ich hatte gute Laune, weil ich mich auf das Meeting freute, der Taxifahrer schimpfte immer noch, als er abfuhr.

Das Board-Meeting war super und ich hatte Stoff für diesen Wochenstart. Geht doch.

Auf eine gute Woche!

Ihr und Euer

Guido Quelle

Mandat Wachstums-Wochenstart Nr. 253: Das letzte Abenteuer der Erde

Mandat Wachstums-WochenstartVor etwa 25 Jahren dachte ich, das letzte Abenteuer dieser Erde sei es, mit dem BVG-Linienbus durch Berlin zu fahren – als Fahrgast, wohlgemerkt. Du kannst Dich gar nicht so krampfhaft festhalten, wie der Fahrer die Kurven nimmt, klassischerweise unter Zeitdruck, Beschleunigung auf „MAX“, Verzögerung auch. Wenn Du Glück hast, hast Du einen Sitzplatz, aber das ist eben nicht immer der Fall. Gut, wenn der Bus voll ist, dann fällt man wenigstens nicht um, oder man fällt weich.

Mag das Berliner-Busfahren auch immer noch ein Abenteuer sein, angesichts des wachsenden Verkehrs in der Hauptstadt hat sich ein neues „letztes Abenteuer“ herauskristallisiert und dem Linienbus den Rang abgelaufen, zumindest bei mir. Es lautet: Taxifahren in Berlin. Ernsthaft: Man muss schon hart gesotten sein, um das zu tun.

Hier einige Klassiker: IMG_4250

  • Du stehst vor dem Bahnhof, es schüttet und alle Taxen fahren weg, egal ob mit oder ohne Fahrgast.
  • Wenn Du ein Taxi heranwinkst, kommt es so angeschossen, dass es sicher einmal vorher durch die Pfützen rast und Du nass wirst.
  • Erwarte nicht, dass Dir jemand mit dem Koffer hilft. Irgendwas muss man aus der New Yorker Taxiwelt ja lernen.
  • Das Erste, was Dich erwartet ist in der Regel ein Flunsch (so nennt man bei uns ein enttäuschtes Gesicht), wenn Du das Fahrtziel nennst. „Da kann man ja zu Fuß gehen“.
  • Jeder, wirklich jeder kennt die Anzahl der Taxen in Berlin. Sie ist immer anders und stimmt nicht, aber es sind aus Sicht der Fahrer immer „viiiiiiel zu viele“.
  • Du erkennst es mit verbundenen Augen: Wenn Du „Meeeeensch, kennste Dich nicht aus?, Hallloooooo!, Idioooooot!“ hörst, beziehungsweise nicht mehr hörst weil es im Hupen untergeht und Du damit beschäftigt bist, Dich irgendwo festzukrallen, weißt Du sicher: Du sitzt im Taxi in Berlin.

Auf eine gute Woche!

Ihr und Euer

Guido Quelle

© 2017, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York.
© Sprinter: mezzotint_fotolia – Fotolia.com

Vortrag im Deutschen Bundestag: Ein Plädoyer für Wachstum

IMG_6048Wie bereits 2009 hatte ich gestern Abend erneut das große Vergnügen, im Deutschen Bundestag, Berlin, einen Vortrag für den Verein zur Förderung der Wettbewerbswirtschaft zu halten. Bereits der Titel „Ein Plädoyer für Wachstum“ machte deutlich, dass es nicht nur – wie meistens in meinen Vorträgen – um betriebswirtschaftliche, unternehmerische Aspekte des Schaffens für profitables, gesundes Wachstum gehen würde. Vielmehr habe ich die Gelegenheit genutzt, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer generell für das Thema „Wachstum“, verbunden mit weiteren Attributen, wie „Freiheit“, „Selbstbestimmheit“, „Unternehmertum“ zu gewinnen, denn ich habe festgestellt, dass diese Werte in der Gesellschaft an Bedeutung verlieren – ein Unding!

Schirmherr des Abends war Karl Holmeier, Mitglied des Bundestages, stellvertretender Vorsitzender des Vereins und Vorsitzender des Arbeitskreises für Wirtschaft und Energie, Bildung und Forschung sowie Tourismus des CSU Landesgruppe im Bundestag, der seine Sicht auf das Thema „Wachstum“ einleitend aus politischer Sicht darlegte.

Holmeier gab mir – unabgestimmt – Steilvorlagen, die wunderbar in mein „Plädoyer“ passten. So konnte ich im Vortrag Vor- und Nachteile von großen und mittelständischen Unternehmen streifen, mit den Teilnehmern über die gesellschaftliche und auch volkswirtschaftliche Bedeutung von „Wachstum“ sprechen, ein energiepolitisches Thema haben wir ebenfalls beleuchtet und auch die Diskussion darüber, wie Verbände, Parteien, das Ehrenamt attraktiver gestaltet werden können, wurde nicht gescheut. Das alles bei fabelhaftem Sommerwetter in der Hauptstadt.

Glänzend moderiert von unserem geschäftsführenden Vorstandsmitglied Dr. Dr. Peter Spary (Foto) und unterstützt durch die rege Diskussion der Teilnehmerinnen und Teilnehmer – auch Antje Lezius, Mitglied des Bundestages, hatte den Weg zu uns gefunden und brachte ihre Sicht sowohl aus unternehmerischer als auch aus politischer Perspektive ein – hatten wir einen äußerst erkenntnisreichen und dem Thema „Wachstum“ sowohl unternehmerisch als auch gesellschaftlich dienlichen Abend, an dem alle Beteiligten etwas mitnehmen konnten.

IMG_6030

IMG_6044(c) 2016, Prof. Dr. Guido Quelle

„Tiefkühlung ist kaputt“ – Warum die Deutsche Bahn sich nicht wundern muss

Nahezu live aus dem ICE 843 von Dortmund nach Berlin:

  • 6.53 Uhr, Fahrkartenkontrolle: „Fahren Sie in Berlin mit öffentlichen Verkehrsmitteln?“ Ich: „Könnte sein.“ – „Bahn können Sie mit dem Ticket in Berlin noch fahren, Bus und U-Bahn nicht mehr.“ Ende des Gesprächs. Prima, danke. Ist ja bloß ein Vollpreis 1. Klasse Ticket.
  • 7.23 Uhr, die Frühstücksfrage (Déjà-vu, siehe auch hier): „Kann ich bitte einen Kaffee und ein Rührei und …“ – „Die Tiefkühlung ist kaputt,“ werde ich freundlich aber doch jäh unterbrochen. Ich wollte eigentlich kein tiefgekühltes Rührei, aber Wurst, Ei, beliebig viele andere Dinge – nicht verfügbar. Ganz wichtig: Schuld sind andere, denn „wir bekommen das ja nur angeliefert. Ich gebe auf.

Die Deutsche Bahn braucht sich über gar nichts zu wundern, schon gar nicht, dass immer wieder über sie negativ berichtet wird. Sie hält nicht, was sie verspricht, ist zu einem Konzern der Kostendiskussionen geworden, statt die enorm starke Marke weiter positiv aufzuladen, das Personal ist häufig überhaupt nicht (Null!) mit der Marke verbunden, die Preise sind exorbitant hoch und die besten Kunden (das sind nicht etwa die Bahncard-Kunden, sondern das sind die, die ohne Murren und Knurren jedesmall voll zahlen) werden verprellt.

Das Verärgern beginnt im Übrigen damit, dass 1.-Klasse-Kunden auf vielen Bahnhöfen im Regen stehen, weil die Überdachung nur in der Mitte des Zuges verfügbar ist. Dortmund, Berlin, man setze die Liste fort. In Flughäfen bekommen 1.-Klasse-Passagiere von Beginn an eine Extraportion Service, bei der Bahn stehen sie im Regen.

Ich schweife ab. Also: Wenn Bahnfahren, dann zuhause frühstücken oder den örtlichen Bäcker mit Umsatz versehen. Oder die Bahn einfach ignorieren. Oder sich erforderlicherweise arrangieren – das tue ich jetzt – und das frühstücken, was gerade da ist. Ein Markenfan „Bahn“ entsteht so allerdings nicht.

„Five Minutes for Growth“ – Die Mandat Wachstums-Videoserie, Staffel 1 Zur Information und Registrierung. Zu fünf kostenfreien Episoden.

© 2015, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York.

Die persönliche Sicht: Opfer für Wachstum?

Ganz klar: Wer wachsen will, muss Dinge anders machen, nicht nur mehr des Gleichen produzieren. Und auch Gewohntes, Liebgewonnenes gehört im unternehmerischen Kontext auf den Prüfstand. Ja, auch manche umweltbezogenen Einschränkungen sind an der einen oder anderen Stelle mitunter erforderlich, wenn gesundes Wachstum geschaffen werden soll.

Aber: Wachstum uneingeschränkt mit der Erfordernis einer umweltbezogenen Einschränkung in Verbindung zu bringen, ist falsch. Wachstum mit einer vermeintlich zwingenden Erfordernis hochgradig fragwürdiger Maßnahmen miteinander in Verbindung zu bringen, ist billig. Wachstum stets mit Opfern zu verknüpfen, ist falsch. Systemdenken? Mangelware.

Beispiele? Nehmen wir doch einmal den Flugverkehr:

  • Nachtflugverbote werden mit einer Geringschätzigkeit diskutiert, die ich ungeheuerlich finde. Ob Anwohner, die in der Nähe eines Flughafens wohnen, wohl auch ein Recht auf Ruhe haben? Oder ist mit dem Wohnen in Flughafen“nähe“ (wobei „Nähe“ ja einige Kilometer entfernt bedeuten kann) stets das Risiko der Willkür verbunden, dass man irgendwann nachts nur noch vier oder fünf Stunden ohne Flugbewegungen auskommen muss?
  • In Dortmund wird der Flughafen als zwingend erforderlich betrachtet, weil er angeblich ursächlich verantwortlich für Arbeitsplätze sei. Ich halte die „Vollkostenrechnung“ für nicht hinreichend hinterfragt. Der Flughafen schiebt ein dermaßen großes Verlustpolster vor sich her, dass er dieses vermutlich niemals mehr ausgleichen wird. Die Bürger zahlen. Ob diese Rechnung belastbar ist, wage ich zu bezweifeln. Nicht jede Stadt benötigt einen Flughafen. Überdies hat dieser Flughafen keine vernünftige Geschäftsverbindung anzubieten. Deutschland Fliegende (Ausnahme „München“) müssen nach Düsseldorf fahren. Ist das sinnvoll? Ist das systemisch?
  • Flughafen Berlin: Ein Großstadtwahnsinn, der ganz offensichtlich nichts aus Stuttgart 21 gelernt hat. Bürger werden offenkundig über Beeinträchtigungen im Unklaren gelassen, um nicht zu vermuten, dass sie getäuscht werden – natürlich gänzlich unabsichtlich. Dilettantismus gepaart mit Größenwahn – keine gute Wachstumsbasis.

Wer bei Wachstumsplänen das Systemdenken ausschaltet, disqualifiziert sich. Wachstum muss balanciert werden. Wachstum ist kein Nullsummenspiel, das stets auf Kosten von irgendetwas geht. Wachstum bedarf nicht zwingend der Opfer. Der WWF beschreibt es sehr treffend: Wachstum muss die ökonomische, die soziale und die ökologische Dimension einbeziehen und hier ist eine Balance zu finden. Dem ist nichts hinzuzufügen.

(c) 2012, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH