Mandat Wachstums Wochenstart Nr. 643: Im Detail perfekt
Der Schrittzähler ist unbarmherzig. 10.000 Schritte sind täglich zu erzielen, so will es das Gesundheitsportal. Den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen? Tja, Pech gehabt, entweder nachsitzen – Pardon: nachlaufen – oder das Tagesziel ist auf ewig dahin. Vom Kalorienverbrauchsziel will ich noch gar nicht reden. In unserem Sommerurlaub habe ich täglich meine Apple Watch getragen und gestaunt, dass ich zwischen 11 und 25 Kilometern pro Tag gelaufen bin – auf einer Insel!
Der App-unterstützte Außengrill ist unbestechlich. Die Temperatur des Grillguts ist überschritten? Ungenießbar, das Zeug. Gut, dass keine Gäste anwesend sind. Wobei … ist zwar etwas über die Zeit, schmeckt genau genommen aber gar nicht so schlecht, eigentlich.
Ich habe mir eine neue elektrische Zahnbürste gekauft und natürlich hat sie auch eine App-Begleitung. Noch habe ich mich nicht damit beschäftigt alles auszuprobieren, aber klar ist: Es wird genau geprüft, wie gut die jeweilige Sektorreinigung war. Ich fürchte, mein Zahnarzt schimpft, wenn ich die App nicht einsetze und App-gemäß putze. Er wird es merken, bestimmt.
Wir sollten die Perspektive behalten. Ja, es ist interessant, Dinge auch im Detail nachzuverfolgen. Für einen Sportler, einen ambitionierten Hobbykoch oder einen Zahnperfektionisten sind die Detailinformationen aus Apps zum Sport, zum Grillen, zum Zähneputzen sicher interessant. Die meisten von uns agieren sportlich aber nicht in der olympischen Klasse, grillen nicht auf Sterneniveau und das Zähneputzen hat seit einigen Jahrzehnten auch einigermaßen geklappt, die Bestätigung erfolgt halbjährlich beim Zahnarzt.
Natürlich gibt es gute Argumente für Detailkontrollen – und wenn es nur Freude am Detail, Freude am Elektronischen, Freude am Fortschritt ist, man muss das ja nicht begründen. Der Bogen, den ich heute zu unserem unternehmerischen Tun schlagen möchte, ist der, dass viele Unternehmen sich im Detail mit Dingen beschäftigen, die nicht erfolgsentscheidend sind.
Das Controlling-Dashboard wird mit allen möglichen Daten gefüttert, die niemand mehr überblickt, das Risikomanagement, Qualitätsmanagement, Umweltmanagement wird aufgebläht mit allem, was möglich ist, statt die Systeme auf das zu reduzieren, was nötig ist, es findet eine wochenlange Preisverhandlung mit einem Lieferanten oder einem Kunden um eine Nachkommastelle statt, weil es Planungsziele gibt, wobei in dieser Zeit schon ein neuer Kunde hätte gewonnen werden können.
Noch etwas kommt hinzu: Echte Profis haben sehr gut im Gefühl, wann etwas gut ist. Der ambitionierte Hobbysportler und erst recht die Top-Sportler wissen, wann sie gut trainiert haben und gut in Form sind. Der ambitionierte Hobbykoch und erst recht Profiköche wissen, wann das Steak gut ist und über das Zähneputzen wollen wir jetzt nicht reden. Jawohl, in der Spitzenklasse zählen auch Mikrodetails mitunter, das ist dann aber auch wettbewerbsrelevant.
Also: Nutzen wir die Apps, die elektronischen Helferlein, Controllingsysteme, Videoanalysen und und und, aber behalten wir eines: unsere Intuition, unsere Erfahrung, unseren Blick auf unsere Position im Wettbewerb. Behalten wir vor allem im Blick: Was ist „Hobby“, auch im übertragenen Sinne, was ist zwingend erforderlich, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen?
Der Markt gibt dann die Antwort, ob wir richtig liegen oder nicht.
Ich werde als Nächstes die Zahnputz-App ausprobieren, versprochen.
Auf eine gute Woche!
Ihr und Euer
Guido Quelle