Schlagwortarchiv für: Lebensmittel-Einzelhandel

CEO-Tipp des Monats Juli 2014: Der Segen liegt im Einkauf – ein Mythos

CEO-Tipp

Wie oft, in wie vielen ungezählten Meetings, haben wir es, insbesondere in Groß- und Einzelhandelsunternehmen, aber auch in Produktions- und verrückterweise auch in Dienstleistungsunternehmen, schon gehört? „Der Segen liegt im Einkauf“. Wieder so eine Plattitüde (Duden: „abgedroschene Redewendung“), die durch noch so häufiges Wiederholen weder richtiger noch sympathischer wird, und dass nicht nur deshalb, weil „der Segen“ üblicherweise im Gottesdienst erteilt wird.

Nein, der Segen im Sinne der Bedeutung der Plattitüde liegt nicht im Einkauf, dieser Segen liegt im Verkauf. Daran werden auch noch so ausgefeilte Einkaufskonzepte, Einkaufs-Abteilungsstrukturen, Einkaufsprozesse, Shared Service Centers oder Verhandlungstechniken nichts ändern. Der Grund: wer nichts verkauft, braucht auch nichts einzukaufen. Wer keine Verkaufsintelligenz hat, braucht keinen Einkauf, kein Marketing, keine Buchhaltung, kein Controlling, keine Unternehmensführung. Licht aus, abschließen, fertig. So sieht es ohne wachstumsfördernden Verkauf aus.

Nun wird das Argument, dass der Einkauf den „Segen“ bringe interessanterweise vor allem in den Unternehmen vehement vorgetragen, in denen ein gefühlter oder tatsächlicher Preisdruck herrscht. Je höher der (empfundene, herbeigeredete oder tatsächliche) Preisdruck, desto vehementer der Vortrag. Es wird trotzdem nicht richtiger, denn ganz offensichtlich ist ein Unternehmen, das sein Wachstum aus dem Einkauf, also aus niedrigen Einstandspreisen generiert, nicht in der Lage, seine Produkte und Leistungen zu adäquaten Preisen an den Markt zu bringen. Es mangelt also an Vertriebs- oder Verkaufsintelligenz, die durch eine hohe Einkaufkompetenz kompensiert werden muss.

Die Aussage, man befände sich schließlich in einem hochkompetitiven Umfeld und könne nicht einfach die Preise anheben, sondern müsse sie sogar regelhaft senken, ist bei genauem Hinsehen nicht selten eine dürftige Ausrede. Sie lässt außer Acht, dass Kunden zugegebenermaßen auf Preiserhöhungen, oder auf nicht mitgetragene Preissenkungen des Wettbewerbs, mitunter sensibel reagieren, dieselben Kunden aber sehr wohl offen für echte Innovationen sein können, welche das Unternehmen aber nicht willens oder in der Lage ist, zu initiieren und an den Markt zu bringen.

Einkaufen ist wesentlicher leichter, als Verkaufen. Wenn man einkauft, ist man der Mächtige, man ist der Kunde. Man kann Drohgebärden auffahren, sein Verhandlungsgeschick voll ausspielen, mit Abhängigkeiten spielen. Der Klassiker: Der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel, der seine Macht voll ausspielt – bis ein wichtiger Lieferant irgendwann den Bogen überspannt sieht und sich selber auslistet. Man schaue dann, was geschieht. Verkäufer aber sehen sich stets exakt diesem Muster gegenüber: Im B2B-Geschäft sitzen ihnen Einkäufer, gewerbliche Verwender, Industrieprofis gegenüber, die ihre Kundenposition ausspielen und um die Elemente der Austauschbarkeit des Lieferanten wissen. Der Verkäufer muss eine Beziehung aufbauen und braucht regelhaft einen angemessenen Mix aus Preis, Produkt, Dienstleistungen, will er ein Geschäft generieren, dass allen Beteiligten Freude macht.

Im B2C-Geschäft ist es nicht besser: Wir Endverbraucher haben die Möglichkeit, mit Hilfe von allerlei Preis-Suchmaschinen eine hohe Preistransparenz herzustellen und zahlreiche Endverbraucher kaufen tatsächlich über den Preis. Was aber geschähe, wenn Unternehmen die Faktoren „Convenience“, „Leichtigkeit“, „Sicherheit“, „Komplexitätsreduzierung“ stärker und bewusster spielten? Was geschähe, wenn der Verkäufer im Elektrofachmarkt auf die Aussage des Kunden (Einkäufer): „Der Fernseher kostet im Internet 100 Euro weniger“ statt „Wir müssen hier auch Beratung, Strom, den Laden bezahlen und das alles kostet Geld“ antworten würde: „Sehen Sie und wenn Sie bei uns nur 50 Euro mehr ausgeben, liefern wir Ihnen das Gerät, wir stellen es auf, hängen es bei Bedarf an die Wand, verkabeln es mit Ihrer Dolby-Surround-Anlage, messen alles exakt ein und programmieren den Fernseher so, dass Sie sofort starten können“? Wir haben exakt dieses Thema auf dem 1. Treffen des Seeoner Kreises vor kurzem diskutiert.

Wir dürfen bei aller Vertriebseuphorie nicht darüber hinwegsehen, dass es natürlich eines angemessenen Einstandspreises bedarf, um insbesondere im Commodity-Bereich wettbewerbsfähig zu bleiben. Manche unserer Projekte, die wir mit unseren Klienten durchführen, drehen sich auch tatsächlich um die Professionalisierung des Einkaufs, weil manche Einkaufsabteilungen ein erhebliches Potenzial auf der Straße liegen lassen. Natürlich müssen eine effiziente Struktur und ein hohes Verhandlungsgeschick im Einkauf gegeben sein. Aber kontinuierliches Wachstum? Dieses Wachstum beginnt oben, in den ersten Zeilen der GuV, es beginnt beim Verkauf.

© 2014, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York. ***

Der CEO-Tipp des Monats ist Auszug aus dem monatlich erscheinenden Mandat Growthletter, der kostenfrei bezogen werden kann: Anmeldung

Die aktuelle Ausgabe ist hier zum Download verfügbar (PDF, ca. 3 MB) ***

Sieben strategische Herausforderungen des Lebensmittel-Einzelhandels

Wie bereits im Jahr 2012 halte ich auch im Wintersemester 2013/2014 die Vorlesung „Strategy Consulting“ an der SRH Hochschule für Logistik und Wirtschaft in Hamm / Westfalen. Zusammen mit meinen hochengagierten, motivierten Studierenden haben wir gestern sieben (strategische) Herausforderungen für den Lebensmittel-Einzelhandel erarbeitet. Hier sind sie:

  1. Balance zwischen Wertigkeit und Preis schaffen.
    Eine immer höhere Wertigkeit der Produkte, durch mehr Regionalität aus entsprechend nicht-industrieller Herkunft, immer mehr „Öko“, „Bio“, „fair“ haben ihren Preis. Genau der Preis ist es aber, der gerade im umkämpften deutschen Lebensmittel-Einzelhandel eine wesentliche Rolle bei der Kaufentscheidung spielt. Ein Umdenken der Kunden, das zu deutlich höheren Ausgaben pro Einkauf führen würde, bedarf eines längeren Zeitraums. In der Zwischenzeit ist der Handel gefordert, die Balance zwischen Wertigkeit und Preis zu halten. Daher wird sich auch das Sortiment weiterhin eher ausdehnen, um den Konsumenten die Chance zu geben, preisgünstige Produkte und gleichzeitig ausgewählt Bio, fair, Öko, regional zu kaufen.
  2. Qualität der Beratung und damit zusammenhängende Kosten
    Nicht nur die Beratung selbst im Handel ist es, die zunehmend gefragt ist – besonders auch in Märkten wie Österreich -, sondern auch das Gespräch im Markt kann kaufentscheidend und frequenzentscheidend sein. Ein nicht-messbarer Faktor, der allerdings, will man ihm Rechnung tragen, mit sehr wohl messbaren Kosten, nämlich Personalkosten unterfüttert werden muss. Bis zu welchem Grad sind diese Investitionen lohnend? Der Blick darauf lohnt auf jeden Fall.
  3. Logistik-Anforderungen
    Viele Händler tun es heute schon, noch mehr werden es tun müssen, wollen sie den wachsenden Lieferdienst-Bestrebungen etwas entgegensetzen. Lieferdienste profitieren vor allem davon, dass routinemäßig das gleiche bestellt wird und sie in der Lage sind, die Logistik effizient zu organisieren. Was tut der LEH? Vier Kästen Fachinger in den dritten Stock zu tragen ist auch durch 1 Euro Aufpreis nicht abzupuffern. Der LEH benötigt eine Antwort auf die Frage nach der Lieferung.
  4. Eigenmarke vs. Unternehmensmarke
    Rewe beispielsweise positioniert seine gleichnamige Eigemarke zunehmend. Wie konturiert die Unternehmensmarke REWE die Produktmarke „Rewe“, vor allem auch in Bezug auf „Ja!“? Wie ist die überhaupt die Zukunft von „Ja!“? Wird „Rewe Bio“ ein eigenständiges Leistungsversprechen halten? Wofür wird die Unternehmensmarke künftig stehen? Bleibt es bei der Symbiose zwischen Discount und Rewe am gleichen Standort? Antworten hierauf müssen aus strategischer Sicht gegeben werden.
  5. Regionalität vs. Internationalität
    Zahlreiche LEH setzen auf die oben bereits beschriebene Regionalität. Was aber, wenn der Kunde sich daran gewöhnt hat, dass die Tomaten auch im Winter frisch sind, dass es Flugmango gibt und dass Erdbeeren weitaus kein Sommerobst mehr sind? Wird weiterhin beides angeboten? Das regionale Sortiment und das internationale? Wie wird hier Wirtschaftlichkeit dauerhaft erzeitl, auch angesichts absehbar steigender Transportkosten, verbunden mit dem Unwillen, für die Produkte mehr zu bezahlen und der zunehmenden Aufmerksamkeit der Konsumenten auf fair trade? Eine strategische Herausforderung.
  6. Der richtige Filialtyp
    Der LEH hat sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Filialtypen es geben soll, ob jeder Filialtyp erforderlich und ob udn wenn ja auf welche Weise die einzelnen Filialtypen zum profitablen Wachstum beitragen. Bei hoher Unterschiedlichkeit von Filialtypen (z. B. hat Billa in Österreich vier Filialtypen, die z. T. sehr unterschiedlich sind) ist dies eine große Führungsherausforderung.
  7. Convenience als Trendfrage
    Der Faktor „Zeit“ wird immer wichtiger. Welche Antworten liefert der LEH auf den zunehmenden Bedarf nach attraktiven Convenience-Angeboten? Der lieblos zusammengestellte, bereits gewaschene Salat, den wir früher als „Convenience“ bezeichnet haben, genügt nicht mehr. Wie wird der „Convenience“-Gedanke weitergedacht?

Sind dies alle strategischen Herausforderungen des LEH? Nein, aber es sind sieben valide Dinge, über die in LEH-Unternehmen nachgedacht werden soll. Dass hier noch erhebliches Potenzial besteht, sehen wir täglich in den Märkten.

Welche Ergänzungen sehen Sie? Kommentieren Sie hier oder schreiben Sie mir.

Vielen Dank an Frauke Barfues, Marc Borgmann, Henrik Brieke, Christoph Gerling, Lars Henkemeier, Jens Mielke, Vembi Noverli und Julianna Siman für die Inspiration für und Diskussion über diesen Beitrag.

(c) 2013, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York.