Mandat Wachstums Wochenstart Nr. 653: Veralbern Sie Ihre Kunden nicht
Es ist schon ein wenig her, dass mir ein soziales Netzwerk, bei dem ich seit 17 Jahren Kunde bin, schrieb, dass es neue Features geben werde und dass man eine „better user experience“ schaffen wolle. Ich schaute mir die neuen Features und die „better user experience“ an und stellte fest, dass manche Features, die ich bislang gut fand, abgeschafft wurden – das war wohl die erste Stufe der „better user experience“ – und dass andere, die bisher kostenfrei waren, nun kostenpflichtig wurden. Das war dann wohl die zweite Stufe der „better user experience“.
Eigentlich bedeutet „better user experience“ ja, dass die „user“, also wir, eine bessere „experience“, also ein besseres Erlebnis haben sollten. Das würde aber so nicht eintreten. Da ich Sprache mag, amüsierte ich mich: Vielleicht bezog es sich ja auch darauf, dass das soziale Netzwerk seine künftige „experience“ mit besseren, also zahlungskräftigeren, Usern erleben wollte.
Mir war es inhaltlich egal. Die abgeschafften Features konnte ich verkraften und da ich ohnehin ein Top-Premium-mehr-geht-nicht-Abo mit zahlreichen Analyse- und sonstigen Funktionen habe, rutschten die anderen Features einfach in den kostenpflichtigen Bereich, den ich ohnehin schon abonniere. Aber die Art und Weise der Beschönigung, des Euphemismus, die hat mich durchaus irritiert, ganz abgesehen davon, dass der Preis für das vormals Kostenfreie für diejenigen, die nicht das Top-Abo hatten, sehr steil von „Null“ nach oben abwich.
Wenn wir genau hinsehen, werden wir immer wieder bei passender oder unpassender Gelegenheit für dumm verkauft, nicht nur von Softwareanbietern. Irgendetwas wird als tolle Neuerung verkauft, die das „Erlebnis“ mit einem Produkt oder einer Dienstleistung oder den Nutzen, den ein Produkt hat, verbessern soll und in Tat und Wahrheit ist für die meisten von uns gar kein Nutzen vorhanden oder er wird überteuert verkauft.
Veralbern Sie Ihre Kunden nicht. Es ist völlig in Ordnung, wenn neuer Wert geschaffen wird, dass dieser auch auskömmlich bepreist wird. Es ist schwierig, vormals kostenfreies mit einem Preis zu versehen – daher raten wir in der Beratung auch stets dazu, möglichst wenig kostenfrei zu tun, es sei denn, ein Unternehmen ist im Premium- oder Luxus-Segment, mit Premium- oder Luxus-Preisen. Es ist ein Unding, so etwas kommunikativ als Vorteil zu verkaufen.
Kunden wissen sehr wohl, wann sie an der Nase herumgeführt werden. Nun kann man sagen, dass ein Unternehmen, für dessen Produkte oder Dienstleistungen es keine echten Alternativen gibt, sich das erlauben kann, doch, Vorsicht: NOCH gibt es diese Alternativen nicht. Sollte es diese geben, kann man sich darauf verlassen, dass Kunden ein sehr gutes Gedächtnis haben.
Wenn wir mit unseren Klienten im Sinne von monetärem Wachstum an deren Preiserhöhungen arbeiten, wenn wir Wege dafür finden und dies gemeinsam am Markt durchsetzen, dann erfinden wir keine Geschichten, wir kommen auch nicht allein über die Schiene der böse gestiegenen Kosten, sondern es wird Wert addiert. Und diesen Wert kann sich ein Unternehmen bezahlen lassen. Euphemismen, wie eine „better user experience“ gehören nicht dazu.
Auf eine gute Woche!
Ihr und Euer
Guido Quelle