Vor kurzem habe ich dem Sprecher der Geschäftsführung eines namhaften Unternehmens mein Buch „Profitabel wachsen“ mit einer persönlichen Widmung gesendet, weil ich meine, dass das Buch dem Unternehmen helfen kann. Wer beschrieb mein Erstaunen, als das Buch mit einer Notiz retourniert wurde, die besagte, dass die Mitarbeiter des besagten Unternehmens generell keine Geschenke annehmen dürften. Wohlgemerkt, unterzeichnet vom Sprecher der Geschäftsführung, dem Adressaten.
Dies ist ein wunderbares Beispiel für mangelndes Gefühl für Angemessenheit. Selbst dann, wenn die Regel für ein 39,95-Euro-Buch wirklich Bestand haben sollte, hätten mehrere bessere Optionen bestanden. Hier sind vier:
- Der Adressat hätte uns einen Scheck über 39,95 Euro schicken oder um eine Rechnung bitten können.
- Er hätte den Betrag spenden und mich darüber informieren können.
- Er hätte das Buch für eine unternehmensinterne Tombola ausloben können.
- Er hätte das Buch in die unternehmenseigene Bibliothek stellen können, damit möglichst viele Mitarbeiter einen Nutzen davon haben.
Dieser Adressat hat sich aber dafür entschieden, mir das gewidmete Buch, das ich in der festen Überzeugung gesendet habe, dass es ihm helfen würde, an mich zurückzusenden. Ich nehme das nicht persönlich, finde es aber völlig über das Ziel hinausgeschossen. Wenn Compliance-Regeln die Angemessenheit nicht mehr berücksichtigen, wenn sie statt dessen die Mitarbeiter – bis hin zur Geschäftsführung – von Entscheidungen freistellen, das Urteilsvermögen also gar nicht mehr fordern, sind diese Regeln Ausdruck einer gedankenlosen Bürokratie. Glaubt wirklich jemand, dass Beratungsmandate im Wert von ein paar Hunderttausend Euro wegen eines gesendeten Buches vergeben werden? Ich bitte Sie, bleiben wir doch ernst.
Natürlich müssen Regeln durchgezogen werden, wenn sie einmal aufgestellt wurden, das ist nicht mein Punkt. Mein Punkt ist, dass die Regel in diesem Fall – und in vielen weiteren mir bekannten Fällen – unsinnig ist. Die Vermittlung von Angemessenheit, die intensive unternehmensinterne Diskussion über „richtig“ und „falsch“, die Vermittlung der Fähigkeit fallweise Entscheidungen aus einem gesunden Ethik- und Moralverständnis heraus zu treffen, ist eine wesentliche Führungsaufgabe. Zu häufig wird mit einer unternehmensweiten Compliance schlicht alles erschlagen. Den Mitarbeitern – erneut: bis hin zur Geschäftsführung – werden Entscheidungen abgenommen, über die es besser gewesen wäre, zu diskutieren.
Compliance ist ein wichtiges Thema. Verzichten Sie aber darauf, Ihre Mitarbeiter zu entmündigen. Sorgen Sie lieber für einen gesunden Dialog darüber, was das Unternehmen als richtig oder falsch ansieht. Dieser aktive Dialog, der ständig aufrechterhalten werden muss, sorgt dafür, dass im Unternehmen auch in anderen Fällen als dem der vermeintlichen Geschenkannahme, bessere Entscheidungen getroffen werden, weil sie eine ganzheitlichere Sicht enthalten. Lassen Sie sich nicht von Bürokraten einreden, alles müsse verboten werden. Halten Sie dagegen, dass Sie es mit mündigen Erwachsenen zu tun haben, die ein Recht darauf haben, darüber zu sprechen, was im Unternehmen geschehen soll und was nicht. Das Recht auf aktive Entscheidungen enthält auch die Pflicht zur Urteilsfindung. Diese beiden Faktoren sind wesentliche Säulen eines Wachstumsdenkens.
(c) 2013, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH
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