Auch wenn der Titel dieses Beitrags suggerieren mag: Es geht im folgenden nicht um den Quereinstieg eines Mitarbeiters in ein Unternehmen. Die Rede soll vielmehr sein von einem möglichen Quereinstieg eines Unternehmens in eine andere Branche. Auch wenn dies oft einen Kraftakt darstellt, auch wenn mitunter möglicherweise Glück eine Rolle spielt, auch wenn viele Entwicklungen, die Quereinsteiger gemacht haben, sich so anfangs nicht haben absehen lassen können, lässt sich doch methodisch einiges auf Unternehmensführungsebene tun, um das Thema „Quereinstieg“ systematischer zu betrachten, als es in der Regel getan wird.
Zunächst ein paar Argumente für einen Quereinstieg in eine andere Branche, festgemacht an zwei prominenten Beispielen:
Beispiel 1: amazon
Amazon, zunächst als Internet-Buchhändler argwöhnisch beäugt, hat seine technologische Kompetenz genutzt, um seine Kunden rundum zu bedienen. Das Sortiment wurde zunächst mit buch-affinen Sortimenten angereichert, inzwischen erstreckt es sich auf nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens ausgedehnte Sortiment. Bücher, CDs, Uhren, Schmuck, Gartengeräte, Kleidung, was auch immer: Man findet es bei amazon nahezu garantiert. Viele der Branchen haben damit nicht gerechnet. Eine ausgeklügelte Sortimentssteuerung und Logistik machen es möglich.
Nicht genug damit: Die Kenntnis des Kaufverhaltens seiner Kunden nutzt amazon gezielt, um neue Angebote maßgeschneidert zu eröffnen. Marktforschung? Überflüssig. Amazon verfügt über reale Kaufdaten, wie vermutlich kein zweites Unternehmen. Cross-Selling wird hier beispielhaft betrieben.
Immer noch nicht genug: amazon bietet, unter anderem mit „1-Click“, einen Bezahlprozess an, der beispielhaft bequem ist. Diesen gesamten Bezahlprozess kann inzwischen jeder Händler auf seiner Website nutzen, um den Check-Out des Kunden so einfach wie möglich zu machen und ohne sich bei diesem Händler mit seinen Zahlungsdaten registrieren zu müssen. Ein Händler, der dies möchte, fügt einfach den amazon-Checkout-Button in seinem Internet-Shop ein, regelt die administrativen Details einmalig mit amazon und Kunden können fortan auf der Händler-Seite über ihren eigenen amazon-Account auschecken. Die Gebühren dafür trägt der Händler, sie werden direkt bei amazon einbehalten. PayPal wird das nicht lustig finden, den Kunden aber freut es und den Händler auch, braucht er doch keine separaten Verträge mit Kreditkartengesellschaften oder Banken mehr.
Amazon wurde erst argwöhnisch betrachtet, dann als Buchhändler akzeptiert, aber nicht als Gegner in anderen Branchen gesehen. Heute mischt amazon nicht nur sortimentsbezogen, sondern auch prozessbezogen Märkte auf.
Beispiel 2: Apple
Hier können wir es kurz machen, es wurde schon vieles über Apple geschrieben. Für diesen Beitrag bedeutend ist, dass Apple seine technologische Kompetenz, seine Ergonomiekompetenz und seine Designkompetenz von Computern zunächst auf Musikspieler, dann auf Telefone und schließlich auf Tablet-Computer übertragen hat. Ohne diese drei Kompetenzen hätte Apple schwerlich so einen durchschlagenden Erfolg mit der iP**-Linie gehabt.
Dies ist aber nicht alles: Apple hat „nebenbei“ die gesamte Musikindustrie revolutioniert. Dem unbedarften Beobachter zufolge mag dies still und leise vonstatten gegangen sein, Tatsache ist aber, dass iTunes heute niemals das wäre, was es ist, wenn nicht Steve Jobs permanent mit der Musikindustrie gekämpft hätte. Leise geht anders. iTunes, so wies es sich heute darstellt, war ein großer Knall. Genutzt wurden vorhandene Kompetenzen.
Was können Sie tun?
Im Nachhinein stellen sich solche Entwicklungen oft als ganz natürlich dar, sie sind es aber selten. Auch spielt selten der viel bemühte „Zufall“ eine Rolle. Vielmehr handelt es sich um das gezielte Nutzen vorhandener Fähigkeiten, um ein neues Feld zu beackern. Diese Fähigkeiten und die Kenntnis darüber sind der Schlüssel. Zunächst einmal müssen Sie sich also im Klaren darüber sein, dass Sie in Ihrem Unternehmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über (Kern-) Kompetenzen verfügen, die für einen Quereinstieg in eine andere Branche genutzt werden können. Das Problem ist, dass sich viele Unternehmen dieser überragenden Vorteile gar nicht bewusst sind. Diese Kernkompetenzen gilt es, herauszuarbeiten.
(Über Kernkompetenzen wurde an anderer Stelle im Mandat Growthletter bereits einiges verfasst. Wenn Sie die entsprechenden Beiträge nicht verfügbar haben, sende ich sie Ihnen gern. Mail an guido.quelle@mandat.de)
Im zweiten Schritt sind die Kernkompetenzen auf ihre Übertragbarkeit zu überprüfen. Das findet im besten Falle nicht als Trockenübung statt, nach dem Motto „Was können wir denn mit den Kernkompetenzen noch so alles tun?“. Besser ist es, wenn die Kernkompetenzen gezielt im Hinblick auf absehbare Trends, Bedürfnisse der Zielgruppe, neue, attraktive Zielgruppen, abgeprüft werden. Welches Trends, Bedürfnisse und vielversprechende Zielgruppen sind, ist das Ergebnis einer zuvor strukturiert stattfindenden Zukunftsklausur, in der das Know-how des Unternehmens gezielt zu Tage gefördert wird.
Der dritte Schritt schließlich besteht darin, die gefundenen Antworten zu strukturieren, die Aktionsfelder zu priorisieren, um sich nicht zu verzetteln und ein konkretes Maßnahmenbündel zu schnüren, um eines der Aktionsfelder konkret anzugehen. Dies geschieht selbstverständlich im Rahmen eines präzise geplanten Projektes, was den Vorteil hat, dass Sie die Reißleine ziehen können, wenn Sie erkennen, dass eine Initiative keinen Fortschritt erzielt.
Wo können Sie konkret beginnen?
Aus meiner Beratungspraxis weiß ich, dass sich Unternehmen mit dem Querdenken und dem Quereinstieg nicht immer leicht tun. Zusätzlich zu den oben genannten drei Schritten können Sie, wenn Sie etwas „softer“ einsteigen möchten, sich zunächst überlegen, wie Sie vorhandene Kompetenzen miteinander verbinden können, um in der Welt Ihrer Kunden ein wenig unentbehrlicher zu werden. Ein Beispiel dazu aus dem B2C-Bereich: Nespresso, das Kundenbindung par excellence durchführt für seine „Club-Mitglieder“, inklusive des Austauschs einer defekten Kaffeemaschine gegen ein Ersatzgerät, damit die Pipeline nur nicht reißt. Im B2B-Bereich geht es oft darum, vom Commodity-Anbieter zu einem höherwertigen Teil der Wertschöpfungskette der Kunden zu werden, zum Beispiel durch Fertigung komplexerer Aggregate. Im Großhandel werden austauschbare Leistungen weniger austauschbar, wenn den Kunden gezielt Markt-Know-how (das im Großhandel massiv vorhanden ist) verfügbar gemacht wird, gegen Gebühr, versteht sich.
Die Möglichkeiten des Quereinstiegs werden damit zwar nicht immer genutzt, aber die Übung, sich bei den Kunden etwas unentbehrlicher zu machen, ist ein guter erster Schritt für diejenigen Unternemen, die sich den großen Schritt des Quereinstiegs noch nicht sofort zutrauen. Auch hier zeigt sich wieder, dass die strategische Arbeit auch durch noch so viel operatives Geschäft nicht leiden darf, will man nicht vom Wettbewerb plötzlich abgehängt werden. Die unnötigsten Sätze beginnen schließlich so: „Das hätten wir auch gekonnt …“
(c) 2013, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH
Der CEO-Tipp des Monats ist Auszug aus dem monatlich erscheinenden Mandat Growthletter, der kostenfrei bezogen werden kann: Anmeldung
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