Irgendein Abend im November 2006: Ich bin in einem First-Class-Hotel in Berlin, morgen und übermorgen steht eine Strategieklausur mit der Geschäftsführung eines Klientenunternehmens an. Abends setze ich mich noch in den Barbereich, ein wenig vorbereiten möchte ich mich noch. Mein Portemonnaie liegt neben mir auf der Bank. Nach einiger Zeit bitte ich die Bedienung, mir die Rechnung zu bringen, lasse den Betrag auf die Zimmerrechnung übertragen zwecks getrennten Begleichens bei Abreise und gehe auf mein Zimmer.
Am nächsten Morgen fehlt mir mein Portemonnaie. Natürlich, ich hatte es auf der Bank in der Bar liegenlassen. Ein erster Schreck, dann aber die Sicherheit: Hier kommt nichts weg. Der Anruf bei der Bar, indes, lässt nichts Gutes ahnen: Das Portemonnaie sei nicht auffindbar. Es wurde auch nicht mehr aufgefunden, es war verschwunden und mit ihm einiges an Bargeld, viel ärgerlicher aber Führerschein, Fahrzeugschein, mehrere Kreditkarten, EC-Karte, Zugangskarten, Sie wissen, was in einem Portemonnaie so alles enthalten ist.
First-Class-Hotel? Mag sein, aber dann erwarte ich auch First-Class-Gäste, denn ich gehe fest davon aus, dass das Personal ehrlich ist. Das Hotel hat sich im Übrigen nicht einmal bedauernd geäußert. Das ist nicht First Class.
10 Jahre später, im Frühjahr 2016, bei einer Mandat-Veranstaltung. Ein First-Class-Hotel in Nordrhein-Westfalen. Ich begleiche morgens meine privaten Aufwendungen mit meiner privaten Amex. Am nächsten Tag bekomme ich eine SMS über einen Amex-Kartenumsatz – aus dem Rheinland. Ich aber sitze mit meinem Laptop auf dem Schoß im Garten zu Hause. Schnell ist die Ursache gefunden: Ich hatte meine Karte offenbar auf dem Rezeptionstresen im Hotel liegen gelassen und sie muss von Gästen als attraktiv eingestuft und einer Fremdverwendung zugeführt worden sein.
Anruf beim Zahlungsempfänger, einem Restaurant: Ja, eine Dame hätte gerade mit der Karte bei ihm bezahlt, informiert mich der Gastwirt. Ich: „Heißt die Dame auch Guido mit Vornamen?“ Der Wirt sagt, ihm sei’s egal. Ich sage, mir sei’s auch egal, nur erhielte er den Umsatz nicht. Mein Amex-Ansprechpartner regelt den Vorgang, der Umsatz wird zurückgebucht, die Karte gesperrt, ich bekomme eine neue.
First-Class-Hotel? Mag sein, aber dann erwarte ich auch First-Class-Gäste. Auch dieses Hotel hat sich im Übrigen nicht einmal bedauernd geäußert. Das ist nicht First Class.
Neulich, ein Sonntag in Dortmund: Meine Frau und ich haben keine Lust auszugehen, also bestellen wir telefonisch in einem Restaurant spanische Tapas zum Abholen. Ich fahre dorthin, der Inhaber und ich kennen uns noch nicht, denn ich bin zum ersten Mal dort. Wir plaudern, es entsteht ein wenig Durcheinander, denn ich versuche, über Apple Pay mit der Amex zu zahlen, was nicht gelingt, mit der Visa-Karte klappt es, nehme noch Geld aus dem Portemonnaie fürs Team, erhalte die Tüten, eine Flasche Wein dazu, freue mich und fahre nach Hause. Lecker ist das. Sehr lecker, sogar.
Am nächsten Tag suche ich mein Portemonnaie. Schnell wird mir klar, dass ich es auf dem Tresen im Restaurant vergessen haben muss. Es ist Montag und das Restaurant hat geschlossen. Egal, anrufen. „Restaurant […], guten Tag.“ Ich: „Guten Tag, Guido Quelle hier …“ – Der Inhaber unterbricht mich sofort: „Sie haben gestern Ihr Portemonnaie hier vergessen, ich wollte Sie noch anrufen, aber Sie hatten bei der Bestellung Ihre Rufnummer nicht übertragen.“ – Das Gespräch nahm seinen Lauf und am nächsten Tag kann ich mein Portemonnaie froh im Restaurant abholen.
Ist dies ein First-Class-Restaurant? Nicht von den Sternen her. Aber: Nicht die Sterne an der Tür, sondern die Menschen, deren Haltung und deren Verhalten machen den Unterschied.
So entsteht die wahre First Class. Wenn Sie First Class sein wollen, beginnen Sie innen.
Auf eine gute Woche!
Ihr und Euer
Guido Quelle