Die persönliche Sicht: Demonstrierende Torreros – wenn Tradition in die Irre führt
Im Jahr 2010 hat das katalanische Parlament mit großer Mehrheit das Ende des Stierkampfes beschlossen. Das wurde auch Zeit. Als im September 2011 endlich der letzte Stierkampf stattgefunden hatte, demonstrierten die Torreros gegen die Abschaffung ihres „Berufs“. Schließlich sei der Stierkampf Teil der spanischen Tradition.
Unglaublich. Ich frage mich, wann die Henker gegen die Abschaffung ihres „Berufs“ demonstrieren, denn ich hoffe auch, dass die Todesstrafe bald der Vergangenheit angehört – weil sie nachweislich nicht abschreckt, völlig wirkungslos verpufft und selbst ein einziger Justizirrtum schon ein Grund dafür ist, diese Art des Vollzugs nicht zu dulden.
Es gibt unethische, inakzeptable, nicht tolerierbare Gewohnheiten und dazu gehören unter anderem das Töten von Tieren aus Schaulust und das Töten von Menschen aus vermeintlicher Gerechtigkeit.
Nein, liebe Befürworter des Stierkampfes, der Todesstrafe oder auch des „Auge-um-Auge-Strafens“: So etwas hat in einer zivilisierten Gesellschaft keinen Platz. Und so etwas lässt sich auch nicht durch „Tradition“ rechtfertigen.
Die Tradition zu kennen und zu würdigen, ist eine Sache. Keine Zukunft ohne Herkunft, dies ist ein kluger Satz. Aber aus der Tradition alle Rechtfertigungen für die Zukunft zu ziehen, ist ein folgenschwerer Irrtum, denn ein solches Vorgehen führt zu einer schleppenden Weiterentwicklung. Wenn nur die Tradition als Basis dient, führt dies in der Regel zu maximal inkrementellem Wachstum – wenn überhaupt. Die Tradition zu kennen, sie zur Kenntnis zu nehmen, die aktuelle Realität zu reflektieren, die Zukunft zu antizipieren und daraus Schlüsse für das eigene Handeln zu ziehen; das ist es, woraus Wachstumsfundamente entstehen. Auf Staatenebene, auf Unternehmensebene und auf persönlicher Ebene.
Wenn wir ausschließlich die Tradition als Basis nähmen, säßen wir alle immer noch auf Bäumen. Wir haben aber inzwischen das Laufen gelernt.
Ihr Guido Quelle
(c) 2012, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH