Mandat Wachstums-Wochenstart® Nr. 606: Wir haben nachgedacht
In diesem Wintersemester halte ich erneut die Vorlesung „Entrepreneurship“ an der SRH Hochschule Nordrhein-Westfalen. Meine Studenten sind sämtlich Inder, die Vorlesung ist in englischer Sprache und wir konzipieren vier Start-ups in vier Gruppen. Wir haben wenig Zeit und die Gruppen müssen unbedingt auch zu Hause zwischen den Vorlesungen arbeiten, wollen sie in der Prüfung, einem Format ähnlich wie „Die Höhle der Löwen“ – oder auf Englisch „Shark Tank“ – eine gute Note erhalten. Der Businessplan muss sitzen.
Heute, an dem Montag, an dem ich dies schreibe, kam eine Gruppe mit der Erkenntnis, dass sie das Produkt wechseln wolle. Nein, nicht graduell, sondern elementar. Weg von der ursprünglichen Idee eines Möbels, das mit Technologie versehen war, hin zu einem Consumer-Produkt im Verdrängungswettbewerb. Das alles nach bereits zwei vollen Vorlesungstagen Arbeit am Businessplan.
Ich staunte.
Der vorgetragene Grund: „Wir haben nachgedacht“. Die Gruppe hätte die erforderliche Expertise nicht, sich in das ursprüngliche Produkt mit seinen technischen Details einzuarbeiten, Komponenten herauszufinden und so fort. Der Grund ist natürlich ein Vorwand. Statt darüber nachzudenken, wie diese Kompetenz erlangt werden kann, statt durch Recherchen tiefer in die Materie einzutauchen, hat die Gruppe einen einfacheren Weg gewählt. Ein vorstellbares, bekanntes Produkt im Verdrängungswettbewerb.
Ganz klar ist: Wir haben in der großen Runde keine Zeit, wieder bei null anzufangen. Wenn die Gruppe jetzt neu aufsetzen möchte, soll es so sein. Aber „Wir haben nachgedacht“ ist natürlich zwiespältig. Einerseits kann es gut sein, sich abzuwenden, wenn man feststellt, dass man nach großem Bemühen nicht weiterkommt, andererseits vermisse ich das Bemühen. Das habe ich auch so zum Ausdruck gebracht.
Wie sieht es im unternehmerischen Alltag aus? Begegnet uns dort nicht auch oft ein „Wir haben nachgedacht“ – so, oder im übertragenen Sinne? Beschleicht uns nicht auch dort manchmal das Gefühl, dass einem Problem einfach ausgewichen und ein einfacherer, bequemerer, aber schlechterer Weg vorgeschlagen wird, der natürlich nicht als schlechter deklariert wird, sondern als Resultat des intensiven Nachdenkens?
Der bequemste Weg ist nicht immer der beste Weg. Oft sind es gerade die Probleme, die zu lösen uns weiterbringen. Ja, es ist ein schmaler Grat zwischen „verrennen“ und „vertiefen“, aber echtes Wachstum entsteht oft dort, wo sich eben noch nicht alle tummeln, weil sie „nachgedacht“ haben und den bequemen Weg gehen. Echtes Wachstum entsteht durch echte Expertise.
Drücken Sie meinen Studenten die Daumen.
Auf eine gute Woche!
Ihr und Euer
Guido Quelle