Es ist leichter, Erster zu werden als Erster zu bleiben, heißt es treffend, und das haben viele von uns schon am eigenen (Unternehmens-) Leibe erfahren. Ist der Aufstrebende immer mit einem Gegner vor Augen unterwegs, muss der Erste seinen Weg selbst bahnen und ins Unwägbare gehen – dahin, wo nie zuvor ein Mensch gewesen ist, frei nach Raumschiff Enterprise / Star Trek. À propos „Gegner“: Wir halten übrigens überhaupt nichts von dem Euphemismus „Marktbegleiter“ oder „Mitbewerber“. Andere Unternehmen, die auch ein Stück von Ihrem Kuchen, idealerweise Ihren ganzen Kuchen wollen, sind keine Begleiter, sie sind auch keine Bewerber. Sie wollen Ihr Unternehmen am liebsten gar nicht am Markt sehen und Ihre Kunden vereinnahmen. Begleiter und Bewerber tun so etwas nicht. Gegner tun das. Gegner wollen einander schlagen. Gegner wollen sich einander beweisen. Es geht um den ersten Platz in der Tabelle. Fußballvereine sind keine Begleiter füreinander. Es handelt sich um Gegner. Das einzige gemeinsame Interesse besteht darin, die Liga zu fördern, um auf irgendeiner Plattform gegeneinander anzutreten. Auf Unternehmen bezogen bedeutet dies, dass die einzige gemeinsame Plattform der Markt ist, der sich aus einem Angebot und einer Nachfrage definiert. Jeder will ein möglichst lukratives Stück des Kuchens aus diesem Markt.
Warum strebt man es überhaupt an, Erster zu werden? Es geht um Prestige, Ego, um vermeintliche Sicherheit. Es geht um Profit, um Sichtbarkeit, um bessere Einkaufskonditionen, um vermeintliche Attraktivität und es geht um‘s Gewinnen. Ob das genügt? Ist es wirklich lukrativ, Erster zu werden, oder geht es nur um Größe? Ich hörte vor vielen Jahren einen Glaubenssatz eines CEOs, dass es in seinem Markt nur um Marktanteile ginge. Einen Markt zu kaufen empfand ich damals schon als äußerst schwache
unternehmerische Leistung.
Größe allein kann es nicht sein. Aber was ist es dann? Das führt uns zu der Frage, woraus wir „Erster“ überhaupt definieren wollen? Traditionell geht es um sichtbare Größen: Umsatz, Anzahl Mitarbeiter und so fort. Als Wachstumsexperten sind diese Größen für uns aber nur dann relevant, wenn sie auch zu Wachstum und Profitabilität führen, anderenfalls sind sie wenig hilfreich. Wachstumsintelligent ist das nicht.
Wir benötigen also individuelle Kriterien, die darüber Aufschluss geben, wie wir „Erster“ definieren. Was bei einer solchen Diskussion herauskommen kann ist, dass man möglicherweise auf Sichtbarkeit verzichtet, aber trotzdem Erster ist – in seinem definierten Sinne. Gerne wird bei solchen Unternehmen von „Hidden Champions“ gesprochen, einem Begriff, den Herr Kollege Simon schon vor vielen Jahren prägte.
Wenn man sich nur den Kriterien unterwirft, die über die Größe Aufschluss geben, stellt sich eine ergänzende Frage: Was ist danach? Was ist, wenn die sichtbare Größe erreicht ist, wenn man Erster ist? Ist man im Unternehmen überhaupt so aufgestellt, dass man einen Markt definieren und nicht nur ein Unternehmen erfolgreich von Platz 1 verdrängen kann? Ist man in der Lage, den ersten Platz zu erteidigen? Wenn ja: Um welchen Preis? Diese Fragen haben schon viele Unternehmen davon Abstand nehmen lassen, reine Größenkriterien als Maßstab für den eigenen Erfolg anzulegen.
Wachstumsintelligenz fordert uns stärker. Wachstumsintelligenz fordert die Diskussion darüber heraus, welche die für das einzelne Unternehmen tatsächlich richtigen Kriterien für die Definition des eigenen Erfolgs sind. Wachstumsintelligenz fordert dazu heraus, über die Relevanz des Egos zu sprechen. Wachstumsintelligenz fordert dazu heraus, über seine Kunden nachzudenken und darüber, was sie davon haben, wenn man „Erster“ ist.
© 2017, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York. ***
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