Vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor: Das neue IT-(ERP-, CRM-, …-) System ist fertig, man hat sich mühsam auf die relevanten Punkte geeinigt und nun arbeitet man damit. Man arbeitet damit? Naja, zunächst versucht der eine oder andere erst einmal, das System zu umgehen, denn es ist ja alles neu. Aber irgendwann arbeitet man damit. Nach einiger Zeit des „Damit-Arbeitens“ kommen dann die ersten Sonderwünsche auf, denn nicht jeder Vorgang, nicht jeder Kunde kann vermeintlich in das neue Schema „gepresst“ werden. Was tun? Guter Rat ist teuer, aber es ist schon immer hilfreich, einen Change Request an die IT zu richten. Wichtig sind dabei zwei Dinge: Erstens eine kommunizierte Dringlichkeit, weil „ein ganz wichtiger Kunde“ diesen Prozess anders benötigt, und zweitens kann ein guter Draht zur IT nicht schaden, um in der sich langsam aufbauenden Change-Request-Liste ein Stückchen nach oben zu kommen. Wenn das so weitergeht, ist es mit den mühsam erarbeiteten Standards bald nicht mehr weit her und wir haben lauter Sonderfälle. Nicht selten ist irgendwann ein Krisentreffen angesagt, innerhalb dessen die Sonderwünsche eingedampft werden.
Wir könnten an dieser Stelle auch andere Beispiele bemühen, zum Beispiel die Prozesse, sauber aufgeschrieben im QM-System, verabredet in den Abteilungen, leider halten sich aber nicht alle daran. Oder das Sortiment, das gemeinsam verabredet wurde und das sich ohne echte Not mit halbwegs guten Ausreden doch noch erweitern lässt. Das heißt dann „regionales Sondersortiment“ oder „Sortiment für Sonderkunden“.
Standards erleichtern die Arbeit. Standards werden aber oft mit Missachtung gestraft oder einfach vergessen. Eine Ausrede ist häufig der besondere Kunde, der ganz dringend etwas ganz Bestimmtes benötigt, der Wettbewerb, der einfach schneller ist und der zum Zuge kommt, wennman sich an die das Geschäft natürlich verlangsamenden Standards hält, usw.
Wenn Sie Standards verabreden, dann müssen Sie sich dreier Dinge bewusst sein:
1. Standards halten nicht für die Ewigkeit, müssen also von Zeit zu Zeit angesehen und gegebenenfalls überarbeitet werden, das aber nur mit wirklich gutem Grund. Dann aber auch tatsächlich.
2. Standards sind nur dann hilfreich, wenn sie das Geschäft nachdrücklich unterstützen. Ein Standard um des Standards willen ist nicht nur nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv. Wehren Sie sich auch im Dialog mit Auditoren, es ist Ihr Geschäft, nicht das des Auditors.
3. Wenn Sie sinnvolle Standards verabredet haben, dann müssen sie auch durchgesetzt werden. Hier mangelt es zu häufig an Konsequenzen bei Missachtung.
Manchmal wird eingeworfen, dass man flexibel sein müsse und Standards dabei hindern. Ich halte das für Unfug, bestenfalls für eine faule Ausrede, die nicht selten aus dem Vertrieb kommt. Garbage in, garbage out. Wenn schlechte Standards verabredet werden, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie in der Praxis nichts taugen. Daher siehe Punkt 2 der obigen Liste. Gute Standards aber beflügeln das Geschäft, sie müssen nur geübt werden. Denken Sie an einen typischen Start in Ihren Tag. Nicht selten sind Sie vermutlich irritiert, wenn Dinge nicht so sind, wie sie sein sollen. So verhält es sich auch mit Standards im Unternehmen. Man muss sich erst an sie gewöhnen, dann sind sie echte Beschleuniger.
Und wenn sie Ihr Geschäft verlangsamen, dann sind es schlechte Standards, die überarbeitet werden müssen. Dabei sind meine Kollegen und ich häufig gesuchte Gesprächspartner, denn an den Prozessen soll sich ja auch die Organisation ausrichten – nicht umgekehrt.
© 2016, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York. ***
© Bild: www.fotolia.com – yoki5270
Der CEO-Tipp des Monats ist Auszug aus dem monatlich erscheinenden Mandat Growthletter®, der kostenfrei bezogen werden kann: Anmeldung
Die aktuelle Ausgabe ist hier zum Download verfügbar (PDF, ca. 2 MB) ***