„Du schaffst das schon“ – ein Wachstumsirrtum
Vor kurzem bin ich wieder einmal auf einen Wachstumsirrtum gestoßen, der mir schon mehrfach begegnete – und der Ihnen auch nicht fremd vorkommen wird: Ich sprach intensiv mit dem Chef des weltweiten Vertriebs eines produzierenden Unternehmens über ein mögliches gemeinsames Projekt, das vor allem zum Ziel hat, eine bestimmte Vertriebsregion wieder auf Wachstum zu trimmen. Selbstverständlich war die Geschäftsführung auch involviert, handelte es sich doch um ein größeres Vorhaben, das ohne Support der Geschäftsführung Gefahr laufen würde, im Sande zu verlaufen.
Im Zuge unserer Gespräche stellte sich heraus, dass zwischen Vertriebs- und Geschäftsführung sehr wohl Einigkeit über die Erfordernis eines Projektes (mit oder ohne uns) und auch Einigkeit über die zu hebenden Potenziale bestand, dass die Geschäftsführung aber davon ausging, dass ein hoher Anteil des zu hebenden Potenzials ohnehin zu heben wäre und somit schon in die Geschäftsjahresplanung eingeflossen war.
Auf welche wundersame Weise das Potenzial gehoben werden sollte? Unklar. Wer das Potenzial heben sollte? Ebenfalls unklar. Was anders gemacht werden müsste, damit das Potenzial gehoben werden könnte? Nicht besprochen. Aber das geplante Geschäftsergebnis zum Jahresende sieht gut aus.
Einer der größten Wachstumsirrtümer ist, dass bei Planungsprozessen davon ausgegangen wird, dass es „schon irgendwie gehen“ würde. „Du schaffst das schon“, hören dann Mitarbeiter gerne von Vorgesetzten, begleitet von einem aufmunternden Schulterklopfen.
Das Problem: Es ist mitnichten so, dass das Aufschreiben irgendwelcher Zahlen und das Aussprechen eines „Du schaffst das schon“ irgendetwas bewegt. Mehr noch: Man muss sich ja die Frage stellen, warum – in diesem Fall – die Vertriebsmannschaft das „Du-schaffst-das-schon-Potenzial“ nicht bereits im abgelaufenen Jahr realisiert hat. In der Hängematte gelegen hat die Mannschaft vermutlich nicht.
Um Veränderungen, Verbesserungen, Wachstum zu erzielen, bedarf es eines sich stets entwickelnden, verändernden Vorgehens. Es bedarf möglicherweise neuer Fertigkeiten und Fähigkeiten – die durch Training und Disziplin erworben werden können – und es bedarf des Willens – der nicht durch Training und nicht durch gutes Zureden erzeugt werden kann. Es handelt sich hierbei ausdrücklich um eine UND-Verknüpfung. Kein „Du schaffst das schon“ wird jemanden dazu bewegen, sich zu verändern und Fähigkeiten entstehen auch mit noch so gut gemeinten Aufmunterungen nicht.
Das Einzige, was Veränderungen und Wachstum bewirkt, ist das kontinuierliche, disziplinierte Tun. Es ist das tägliche Arbeiten an den zuvor beschlossenen richtigen Dingen mit den richtigen Leuten und den richtigen Methoden. „Du schaffst das schon“ ist unzureichend. Führungskräfte sind zwingend gefordert, sich auf die Arbeitsebene zu bewegen, um mit Ihrer Mannschaft zu identifizieren, welche Steine auf dem Weg zum Ziel aus dem Weg zu räumen sind. Ich spreche nicht davon, dass Führungskräfte die operative Arbeit machen sollen, aber wozu, wenn nicht um Steine zu erkennen und aus dem Weg zu räumen, sind sie sonst da?
Ihr Guido Quelle
(c) 2012, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH