Schlagwortarchiv für: Volkswagen

Zwangsbeglückung, oder: Vom Umgang mit E-Mails

Die im Sommerloch kursierende Nachricht, dass Daimler ermöglichen will, dass E-Mails, die im Urlaub eines Mitarbeiters eingehen, direkt gelöscht werden, löst – vorsichtig formuliert – eine noch größere Verwunderung aus, als das Abschalten des E-Mail-Servers bei Volkswagen nach einer bestimmten Uhrzeit am Abend. Man stelle sich vor, man sendet eine E-Mail an einen Mitarbeiter eines Unternehmens und erhält folgenden Autoresponder: „Sehr geehrter Absender, ich bin derzeit im Urlaub, mein Stellvertreter ist …, den Sie unter … erreichen. Ihre E-Mail an mich wird nicht weitergeleitet, sondern wurde automatisch gelöscht.“ Ich würde mich fragen, ob es der 1. April wäre.

Kaum ein Thema beherrscht in Sachen digitaler Technologie die Medien derzeit mehr als der Umgang mit Smartphones im Allgemeinen und mit E-Mails im Besonderen. Die Zwangsbeglücker sind schnell auf der Bühne und es gibt pauschale Beglückungsprogramme: Server ab einer gewissen Uhrzeit abschalten, E-Mails im Urlaub löschen lassen, was darf es sein? Mit Verlaub: Eingehende Briefe, Faxe, von Kollegen oder Projektpartnern abgegebene Aktenordner können auch nicht einfach „gelöscht“ werden. Das wurden sie auch nie.

Versäumt wird bei den gutmenschlichen Beglückungsversuchen, auf die Selbstständigkeit der Mitarbeiter zu setzen. Statt dass Führungskräfte in ihre Pflicht zu führen auch integrieren, dass sie sich mit ihren Mitarbeitern gemeinsam über den Umgang mit E-Mails und auch mit der Menge eingehender E-Mails verständigen, gibt es das volle Programm der Bevormundung.

Wie wäre es mit folgendem Konsens in einem Unternehmen:

  • E-Mails werden nur gesendet, wenn es erforderlich ist,
  • E-Mails werden nicht zur Diskussion wichtiger Dinge genutzt,
  • ein „CC“-Verteiler wird nicht zur Absicherung des eigenen Tuns genutzt,
  • „BCC“ findet nicht statt,
  • jede Person entscheidet eigenständig, ob und wann sie eine E-Mail sendet,
  • jede Person entscheidet eigenständig, ob sie außerhalb der Arbeitszeit E-Mails abruft
  • es besteht keine Pflicht zur Beantwortung von E-Mails außerhalb der Arbeitszeit (so auch im Urlaub), es sei denn, es wurde ausnahmsweise projekt- oder themenbezogen etwas Abweichendes vereinbart,
  • wenn es ausnahmsweise etwas wirklich Wichtiges gibt, das den Einbezug einer im Urlaub befindlichen Person erfordert, erfolgt der Kontakt per SMS oder Telefon.

Dies erfordert natürlich den gemeinsamen Dialog über „wichtig“ und „unwichtig“, es erfordert eine gemeinsame E-Mail-Kultur. Bei der obigen Liste handelt es sich um unaufgeschriebene aber thematisierte Empfehlungen, wie sie in meinem Unternehmen existieren und – viel besser: auch funktionieren.

© 2014, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York.

Die persönliche Sicht: Volkswagen – Die E-Mail-Diktatur

Wenn diese Meldung wirklich stimmt – was anzunehmen ist, weil es vergleichbare Meldungen von anderen Unternehmen gibt –, ist der Entmündigung der Mitarbeiter jetzt in Deutschland Tür und Tor geöffnet. Und das ausgerechnet durch die, die eigentlich für die Mitarbeiter da sein sollten: Durch die Mitarbeitervertretung.

Tariflich angestellte Mitarbeiter von Volkswagen, so heißt es, würden demnächst ab 18.15 Uhr am Abend bis 7.00 Uhr morgens keine E-Mails mehr auf ihren Blackberry zugestellt bekommen. Darüber sei bereits eine Betriebsvereinbarung geschlossen worden. Erste Reaktionen seien positiv, heißt es. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Ich finde: Armes Deutschland, wenn das Schule macht.

Warum 18.15 Uhr? Warum nicht 18.08 Uhr, 17.52 Uhr oder 18.29 Uhr? Mehr noch: Warum überhaupt? Das kann doch nicht wahr sein: In einer zunehmend vernetzten Welt schließt Volkswagen Mitarbeiter von der internationalen Kommunikation aus.

Volkswagen entmündigt auf diese Weise seine Mitarbeiter. Statt darauf zu setzen, dass jeder selbst entscheiden kann, wann und wo er seine E-Mails abruft – was auch tariflich angestellten Mitarbeitern zugemutet werden kann, darf und soll –, setzt Volkswagen darauf, dass die Führung besser weiß, was für die Mitarbeiter gut ist, als die Mitarbeiter selbst. Verbot statt Führung. Das ist Diktatur.

Außertariflich angestellte Mitarbeiter erhalten im Übrigen weiterhin E-Mails zu jeder beliebigen Zeit. A-ha. Können AT-Mitarbeiter besser entscheiden? Sind sie wichtiger? Oder leidensfähiger? Ist der vermeintliche E-Mail-Schmerz mit dem AT-Gehalt abgegolten? Wem E-mailen die AT-Mitarbeiter – Führungskräfte und Manager – aber künftig nach 18.15 Uhr? Ihren Mitarbeitern ja wohl nicht, die empfangen nämlich erst ab 7.00 Uhr wieder E-Mails. Bedauerlich. 18.15 Uhr soll eine Uhrzeit sein, zu der der Eine oder Andere durchaus noch arbeitsfähig ist.

Liebe Volkswagen-Führung und lieber Volkswagen-Betriebsrat: Lassen Sie sich sagen, dass das nach hinten losgehen wird. Wenn in internationalen Projekten wichtige Mails aus Indien, China, Australien nach Deutschland kommen, aber nicht abgerufen werden können, weil es noch nicht 7.00 Uhr morgens ist, ist das kein Vorteil, sondern ein massiver Beitrag zu verhindertem Wachstum.

Damit haben Sie sich einen Bärendienst erwiesen. Sie haben gezeigt, dass bei Volkswagen offenbar die Mündigkeit der Mitarbeiter unterschätzt und Führung nicht zureichend ausgeübt wird.

Führung bedeutet auch, Mitarbeitern im Selbstmanagement zur Seite zu stehen. Führung bedeutet auch, Mitarbeitern eine gewisse Arbeitszeitsouveränität zuzugestehen. Schade, Volkswagen. Das war jetzt wirklich mal voll daneben. Wer wohl der nächste ist, der diesem schlechten Beispiel folgt?

Bin ich froh, dass ich E-Mails schreiben und empfangen kann, wann ich möchte. Sie auch? Frohe Weihnachten!

Ihr Guido Quelle

(c) 2011, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH